back
Auszug aus dem Geschichtenband
Annes Ansichten, weißt Du!
Die Tochter fährt mit der Hand immer wieder über ihren Unterarm. Eher gleitet dieser linke Unterarm
quer in Brusthöhe sanft hin und her, in der halben Wölbung der rechten Hand. Immer wieder, sanfter
fremdgesteuerter Blick.
Was hast Du da?
Des Vaters Worte stoppen den Antrieb augenblicklich.
Nichts.
Der Blick bleibt leer.
Das weiß der Vater, auch wenn er hinter seiner Tochter steht und seine Hand langsam von ihrer
Schulter löst.
Das weiß der Vater auch so.
Auch das sie da was hat. Am Unterarm.
Was, weiß er nicht, will es hören. Von ihr.
Nicht sehen müssen. Erkennen.
Was erfragst Du, was Du schon längst weißt, so die Tochter.
Das ich schon lange vorhatte mich tätowieren zu lassen.
Das weißt Du doch.
Ja, so der Vater traurig, ich weiß.
Jetzt war es auf dem Tisch. Die Arme ruhen.
In der Frage noch das Schwebende zu halten gewesen.
Jetzt auf dem Tisch.
Sein Baby nicht mehr unversehrt.
Seine schöne junge Tochter, für die er seine Haut würde retten müssen, um sie ihr womöglich eines
Tages zu spenden.
Alles getan hätte und nicht verhindern konnte, dass sie
sich zeichnen ließ, markieren.
Was ist es denn? Etwas versöhnlicher.
Auszüge aus dem Roman
2
ich bin allein, mit einem unter der bettdecke hervorlugenden bauchschlauch, geräuschen, die mir nicht vertraut sind und einer
bewohnerin, deren kosmos ich nicht kenne. in einer unwirklichen kopfhaltung, geschraubtheit, muskulatur und knochigkeit,
schaut sie mich an, ganz direkt, vermutlich die ganze zeit schon.
hallo, hauche ich, hallo ich bin die neue und ab morgen früh.
ich weiß ja nicht, ob du mich verstehst. also, wenn, weißt du, ist das ok, wenn ich dich duze. also ich werde dann mal. ich
bewege mich, rückwärts gehend, zur tür hin.
keine reaktion, die geräusche gleichmäßig und fließend.
nur aus dem röhrchen, welches aus der gurgel gen himmel stakt, darauf eine luftdurchlässige schutzkappe. daraus ein unregelmäßiges
knistern und brodeln zu vernehmen.
sie fixiert mich dabei aufmerksam, als gäbe es dieses geräusch nicht, als begegneten wir uns staunend auf einer waldwiese.
ich stoße mit den rückenrippen an die türklinke, drehe mich mit einem "tschüss dann, bis morgen" und einer blöden scheibenwischergeste
in schulterhöhe noch einmal kurz um, bevor ich den raum verlasse.
was ich hier verloren habe. eine kleine dralle person in einem neonpinkfarbenen halbkittel baut sich vor mir auf und versperrt mir den weg.
dass ich, die frau, ich weiß noch nicht einmal den namen meiner einweiserin mit den blauen augen, dass diese kollegin meine
interviewpartnerin ist und ich vorher dieses praktikum.
na, davon wüsste sie aber, so geht das ja nicht, da kann ja jeder hier erscheinen und was vom pferd. ich solle doch mal mit ins
büro und die sache klären.
ich bin müde und erschöpft, mein ich-freue-mich-auf-das-frühe-aufstehprojekt, also, dass ich-einmal-mitten-in-der-nacht-aufstehen-darf-projekt,
büßt etwas von seiner anfänglichen frische ein. ich will nachhause.
15
:: wer wir sind. na habt ihr nicht aufgepasst. wer wer ist und welche stimme sich gerade einklinkt, ist das nun der vom tisch
gefallene oder die rückenperson, die halsschnorchlerin oder was. erstens. etwas mehr respekt bitte, ja. zweitens: das ist
schnurzpiepegal. mal sprechen wir durch die eine, mal durch die andere form, hülse, box oder beutel, geschlossener rollkoffer
oder naturgemäß halb geöffnete kängerutasche, hmm, dann wären wir ja mit einem fuß schon draußen. interessant, dem sollte ich
mal nachgehen. hey, was meint ihr dazu. nein, nicht ihr, ich meine meine kumpels. und wenn ihr nun glaubt, es würde ein wildes
durcheinanderrufen stattfinden, welches von außen her erschallt, so habt ihr euch geirrt. es ruft zwar, aber aus einem bottich
heraus. wir sind einfach nur verschiedene aspekte, verstehste. nimm mich, als was ich gerade erscheine. vielleicht kennste mich
schon, vielleicht auch nicht, vielleicht stelle ich mich dir als eine neue PERSON gerade vor, vielleicht hat auch lediglich
eine drehung stattgefunden im selben aspekt MENSCH, und so weiter. eijeijei. ick hör ja schon uff.
du winkst ab, det is dir zufülle, seh schon, jaja. nu lass man. kannste nich verstehen, aber mir zuhören. ich begegne dir ja
auch vorbehaltlos, und dazu gehört was, das kann ich dir flüstern, ihr macht uns det nich leicht.
Auszug aus dem Roman:
Chiara macht sich auf den Weg, möchte Fuß fassen und widmet sich ersten Arbeitsschritten
Sie sitzt in der hintersten Ecke des einstöckigen kleinen Gebäudes am Fluss. Sie bleibt nah am Rand,
ebenerdig, sucht den Wasserblick.
Die Sonne scheint und die Fenster sind allesamt aufgeschoben, so dass der Blick frei fließen kann,
zum Fluss hin, zu ihren Füßen. In welche Richtung fließt er eigentlich, was alles wird er noch sehen
und wie sehr wird sie sich mittragen lassen während ihres Hierseins.
Ihr Kopf schmerzt. Sie hat zu wenig gegessen und tut sich jetzt schwer mit der Auswahl. Kunstfertig
gebaute Doppelstocktoasts sind verführerisch, teuer wie ein Hauptgericht. Die junge Bedienung,
stylish und knapp gefällig, kippt durchaus auch wieder in eine Art Gegenteil, synthetische
Freundlichkeit, reichlich Komplimente für das zweifelsohne entzückende Café erfrischen die Stimmung.
Sie hört die leisen Klänge aus dem Lautsprecher, passendes Klavierwerk, angebraut. Sie weiß, wie es
sich anhört, aber was es bedeutet beim Betrachten dieses Flusslaufes. Sie erfährt es noch nicht.
Ein Kranich stelzt im Gestein des Flussufers, ist mit dem Gefieder beschäftigt, zupft, ordnet und
glättet es, steht. Schaut. Sie folgt seinem Blick zum gegenüberliegenden Ufer.
Ein knochengebeugter alter Mann balanciert elegant eine scheinbare Last auf dem Gepäckträger des
Fahrrades, während er gleichmäßig in die Pedale tritt. Hinter seinem Rücken bauscht sich eine hohe
und breite Plastiktüte mit Plastikflaschen und Dosen, einige wenige ragen heraus. Entgegen kommende
Radfahrer, Fußgänger weichen federnd aus und nehmen nicht die geringste Notiz von ihm, außer im
Ausweichen, Registrieren, wie ein Stöckchen, das im Wege liegt.
auepavillon
die silbrigen bahnen entlang
der verdichtete stoff und ein
rauschen wie wasserfall wie
innen gestelltes
schutzlagenbahnen wellen
des schienenplafonds
brummendes
gewächshaus schutzhaus
trotz silberfischigkeit
Aus: Mother in a Wheelchair
(...) Sie lässt dir die Umzugskiste zum Spielen da.
Das Pack- oder Seidenpapier, dieses über die
Gesichtsknochen hinaus gezogene Haut- und
Hauptpapier wie Wolken, wie straffes, frisches
Laken, das Lächeln.
Portal für die kleinen Füßchen, die verdreht
verhaspelten Tanzknochen, die Hände.
Darinnen das Bewegte und die Gesten. (...)
Aus: "Hauchpapier "
Ob sie noch Fragen habe. Schwester Carola stützt die Hände am Fußende des Bettes ab.
Setzen hat sie sich nicht wollen und Maries Angebot kurzerhand abgelehnt.
Rasches abruptes Losstürzen geht dann nicht, wenn brenzlig oder unaushaltbar.
Also stehen geblieben, die Oberhand behalten.
Marie lächelt die Schwester freundlich an. Hält ihre Tochter sicher und geschickt im Arm,
lächelt ihr zärtlich zu und streichelt das kleine Flaum- und Lockenschädelchen.
Schwester Carola wechselt mehrfach Stand- und Spielbein und setzt noch einmal an.
...
Schwester Carola lässt sich im Dienstzimmer auf einen Stuhl fallen.
Hab ich's doch gesagt. Habe ich doch gleich gesagt. Zwecklos, kommt nicht an.
Keine Chance. Da muss das Jugendamt ran. So kommen wir nicht weiter.
...
Nur der Herr Körber hat nicht komisch geguckt oder merkwürdige Fragen gestellt.
14
Noch namenlos.
Er sich den Hut vorgenommen hat. Kaut ausführlich die Ränder glatt,
bis sie vollends eingespeichelt sind und unangenehm nass, dann lässt
er den Hut fallen und wendet sich dem nächsten Objekt zu. Das kann auch
metallen hart sein. Sein zahnloser Mund befragt alles, da er alles schon
einmal gesehen hat. Er kennt das, es erscheint ihm jedoch wie neu. Zahnlos
war er auch früher einmal und erinnert sich an seine zahllosen Mütter.
Sie geht durch den Wald (Wand) an der Böschung entlang. Nur ein Schritt und
sie kollerte. Sie geht den Weg entlang der Böschung und schaut dabei geradeaus.
Sie weiß nicht was als Nächstes kommt. Vielleicht ein Kollern. Sie weiß nicht
was da unten ist, am Grund des Sees, inmitten aller Tanzenden.
73
Leichtfüßig und händig, so ein Bewegungsfuror:
Der Fischschwanz des Astendes.
99
Wie kleine Puppenbierkästchen, kleine hölzerne Flaschenkästchen,
leise puckernd und blubbernd, letztlich sanftes Scheppern, es scheckert
so still im Hintergrund.
128
Das Hineinsprechen in das mobile Telefon, als würde sogleich ein Abbeißen von der Waffel erfolgen oder eines leckeren Brotes.
Lyrik
als wär es hier mehr/ meer
als wär es hier mehr/ meer,
kopft der schädel ins knirschkissen.
als wär es hier mehr/ meer,
verwehen die hochgebirgsfahnen.
als wär es hier mehr/ meer,
gewangtes ich auf dem kissen.
Am Ende
Ahnungsloses
Auffinden von Atemlosigkeit
Und
Im Nachgesang
Die Stimme fort
Getragen
Wundholz
Handständiges Lehnen am Fuß
des Schwesternbaumes, namenlos wie
unbekannt,
später Moosgeweih, einhirschig.
Wurzelhand liegt auf
Schwesternfuß, so
ein ausgedehntes
Hinschauen, gleichzeitig
kaum gesichtete
Wipfel rutschen mit
dem nächsten
Sturz der Sitzbeinhöcker
seitwärts.
Kunst_Texte
"Ich habe von einem Zirkus geträumt"
zu einer Fotografie von Anna M. (Auszug)
I
...er sitzt an seinem porenpolierten Schreibtisch und
versucht vergeblich, die zehn exakt gespitzten Bleistifte zu
sortieren. Einer gerät immer aus der Reihe, rollt oder
rutscht, gefährdet die schwebende Balance, eine
Schieflage dann und
...die Blauberge am Horizont.//
Er schwitzt.
Über der Oberlippe steht zart der plötzliche Film. Es rötet
sich seine Nasenspitze um je eine Nuance ins Dunklere
hinein, je zwingender der Versuch, die Bleistifte auf dem
Schreibtisch festpicken zu wollen.//
Er schaut aus dem Fenster.
Sie steht da immer noch, talaufwärts am Hang, steht und
beobachtet ihn. Immer wieder hat er den Blick senken
müssen, hoffen, dass sie endlich verschwunden sein möge,
beim nächsten unerlässlichen Lugen, pfeilschnelles
Verschmelzen mit dem Karamellkastell, weiß um das
Wogen der Auffaltungen in seinem Rücken, die lichten
Häufchen zu seinen Füßen.//
Sie ist fort.
Sie steht da nicht mehr, wo sie immer gestanden ist, ein
Schattenriss nun.
Und die Dämmerung ihm die Lichter bringt,
er aber sitzt im Dunkel.
Miniaturen
Im Traum oder
Die Lichter (Auszug)
Sie lächelt immer so freundlich wenn sie kommt. Sie ist dann plötzlich da. Steht in der Tür, lächelt,
wünscht mir einen guten Morgen und sieht mich erwartungsvoll an, als wüsste ich, was nun kommen würde.
Ob sie mir beim Schuhe anziehen helfen solle. Da ich noch, wieso eigentlich, im Bett liege, muss das
mit der Sitzposition oder kann ich mir eigentlich nicht, kann ich mir doch die Schuhe auch, da ist ja
auch einer, an dem einen, also hier ist ein Schuh. Dass ich das lassen solle, bedeutet sie mir barsch
und das es so nicht gehen würde. Sie lächelt nicht mehr. Plötzlich sitze ich, strecke die Beine weit
von mir weg, fast als wären das da nicht meine und am untersten Ende baumelt halb links ein Latschen.
Ich solle doch möglichst heute noch die Knie beugen und die Füße aufstellen am Boden, damit auch der
andere Schuh. Nachdem sie meine Beine gefasst und dort unten hin geführt hatte, mit so einem Nachdruck
überhalb der Beinmitte, da wo es sich knickt also, na ja, jetzt wo diese Dinger, alles auf dem Boden
steht, weiß ich was sie meint. Nun geht das aber gleich weiter. Wenn ich nun aber diesen einen Fuß
nicht sofort logischerweise vom Boden lösen würde, ich bin doch kein Storch, warum dreht sie jetzt
die Augen, stimmt doch, es könnte jedenfalls nichts mit dem Schuhe anziehen und die Zeit würde rennen.
Wie spät ist es eigentlich und wo ist meine Uhr. Sie hebt nun mein Bein vom Boden, das kann ich doch
auch alleine, ich bin doch kein Baby und schiebt mir energisch den Latschen von einem Fuß auf den anderen,
also tauscht sie wieder aus, ja was denn nun und aufstehen solle ich dann endlich. Wenn ich nur wüsste
was sie von mir will, ich muss doch erstmal, das hat doch alles einen Grund. Ich habe hier in der
linken Hand so eine Art. Also feucht ist es, fast nass und gekrumpelt und ich habe es in der Hand.
Das Bett ist an manchen Stellen nass. Bin wohl müde geworden über dieses Putzding. Das muss jetzt
erledigt werden, deswegen bin ich doch aufgestanden, oder. Das passt mir jetzt aber gar nicht, das.
Wieso denn in die Küche bringen, ich will doch, das ist, das ist doch mein Lappen, genau, natürlich
mein Lappen und sofort will ich jetzt. Das macht doch alles gar keinen. Hoffentlich soll ich nun nicht
wieder irgendwas, was ich gar nicht. Ich weiß einfach nicht, was sie von mir will. Aufstehen und so
rumlaufen. Mache ich doch sowieso: aufstehen, rumlaufen und schauen was die anderen so machen. Draußen
Stimmen von irgendwelchen Leuten, sagen:
Friedensschwester, wer ist das, die Andrea, wer ist Andrea.
Na, die Ursel. Ach so, der D. kommt. Ihr Pfleger. Nein, mein Kollege. Also ihre Pflege, verstehe.
Etwas lauter:
Nein, mein Kollege! Ach so. Na kann mir auch egal sein, kenne ich sowie nicht. Ich habe
keine Pläne von ihnen, weiß nichts von ihren Plänen in ihren Köpfen.
Erzählung
DER APPARAT
I Der Raum (Auszug)
Seit mehr als einer Viertelstunde steht sie auf dem Platz und schaut dem Wasser beim Sprudeln zu. Langsam, ganz langsam
windet es sich den Abfluss hoch, schraubt und schiebt sich nach oben in einer Weichheit und gleichzeitigen Unaufhaltsamkeit,
dessen Ausmaß sie nur erahnen kann.
Der Teppich breitet sich immer weiter aus und sie kann nur weichen und dennoch versinken. Sie entscheidet sich für den ersten
Schritt, rück, zwei, drei, vier und dreht sich um sich selbst, schlingt das Wasser in die Bewegung hinein, wird geschoben von
diesem naturbedachten Raum, ebenfalls Teil des gesamten Gewebes. Pflückt dabei Gebäude auf, die sie noch nicht begriffen hat
und die zu Staub zerfallen würden unter ihren Händen. Die Kulissen rücken ab vom Ort und von ihr, die Drehbühne bewegt sich
auch ohne sie weiter. Noch bemerkt sie dies nicht. Unter der letzten Lichterflirrung der vielen,
matt erleuchteten Fenster verzählt sie sich, kommt aus dem Takt, verfehlt die Zeit. Abrupt bleibt sie stehen, lässt den Raum
um sich herumsäulen und wird für lange Zeit keinen festen Boden unter den Füßen verspüren und schwanken. Nun aber schreitet
sie ihn ab, zunächst von den Außenrändern her: eins, zwei, drei, vier - es trägt sie, es treibt und spült sie fort, ihr bleiben
nur mehr die Stege, die sich quer durch das Bild gelegt haben.
Der Schlag der Glocke tönt unvermittelt, fassungslos hält sie den Atem an. Erwartungsvoll hatte sie sich hier am Platz
eingefunden, um diese Glocke schlagen zu hören, welche nach vier Takten wieder Atem holt zum nächsten Schlag.
back
Scroll