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Konstanze Reupsch


aus "Klatschmohn heizt das Feld"
Gedichte

Reihe Poesie 21,
Verlag Steinmeier, Nördlingen 2006
Klatschmohn
Früh Stück

Kirschkonfitüre tropft
vom Butterhörnchen in
Milch schlägt Schaum
auf Kaffee

Neben der Orange
liegt sie schon geschält
wartet vergeblich hat
der Wecker geklingelt
Zum Verbleib

zwischen den Seiten
elf und zwölf der
Kassenbon mit ihrer
Handynummer

ihrer Stimme
Resonanz im Bauch
Raum meiner Fragen
zum Verbleib

ein Haar von ihr
im Faltenwurf der Laken
zwischen meinen Beinen
noch ihr Fingerabdruck

zum Verbleib



aus "Tage wie Weiber warm"
Gedichte

Reihe Poesie 21,
Verlag Steinmeier, Nördlingen 2011

Tage wie Weiber warm
Sommerrückruf

mit Föhn von den Bergen
Gartenstühle dürfen nochmal
Richtung Sonne klappen
sich an warme Schenkel schmiegen

bis er feucht wird der Abend
Stunde um Stunde Temperaturen
vom Thermometer schüttelt
und Igel Apfelball spielen
Schweigen

kein Anruf von dir
kein Brief keine Mail
du bist an der Reihe
ich kann warten

mit Erfolg (na bitte
geht doch) ein Brief
von dort wohin du
gezogen bist nur

nicht deine Schrift
im schwarzen Rahmen
der Umschlag fällt
mir aus der Hand



Prosa

Zwei Auszüge aus einer unveröffentlichten Erzählung:
T-RÄUME
Vorlesungsschluss. Morgen. Thea hat das Semester gestern schon ausklingen lassen mit einem Referat im Seminar Differenzialgeometrie. Sie war in ihrem Element, hat Formeln aufgestellt, umgestellt, reduziert zu eleganter Kürze. Hat computeranimierte Kurven über das Whiteboard tanzen lassen und Flächen, die sich in alle Richtungen gekrümmt, eingerollt und wieder entfaltet haben. Sie hat die anderen mit ihrem Enthusiasmus mitgerissen und begeisterten Beifall erhalten.
Jetzt knautscht sich Thea in die Couchecke, versucht die Gedanken an noch ausstehende Prüfungen beiseite zu schieben, schaut sich schläfrig im Zimmer um.
Sie müsste mal wieder putzen und den Stapel Bügelwäsche auf dem Stuhl in der Ecke bewältigen. Einkaufen wäre wichtig, sie weiß aber noch gar nicht, was sie heute Abend für Mann und Kind kochen soll. Nebenbei wäre noch die Waschmaschine anzustellen. Thea stöhnt.
Beim Blick zum Computer erinnert sie sich an einen anderen Plan: Sie könnte das PC-Spiel fertig stellen, das sie ihrer Tochter Anna zum achten Geburtstag schenken will. Vor ihren Freundinnen wird sie damit angeben: von Mama programmiert!
Doch der dicke rote Ordner, der auf dem Tisch liegt, mahnt. Etwa 60 dicht beschriebene Seiten Mathematik trennen sie noch vom erfolgreichen Studienabschluss: Definitionen, Sätze, Beweise, Theorien über Theorien. Grau ist alle Theorie, schießt es Thea durch den Kopf und schwarz die algebraischen Strukturen, dunkel die normierten Räume, die Räume, Räume ... Die Augen fallen ihr zu.
Sie fällt und landet im Flur einer großen alten Wohnung. Ein langer Flur, von dem links und rechts Räume abgehen, WG geeignet, Theas Mathematiker-Wohngemeinschaft.    ...    ...   ...
...    ...   ...
Thea springt auf: Sie wollte ja Blumen pflücken für das Zimmer der Algebraiker.
Beim Blick über die Wiese sieht sie die WG-Bewohner vom Haus herüber kommen. Gemeinsam gehen sie zu der parabelförmig geschwungenen Marmorbank am hinteren Wiesenrand. Nachdem sie Platz genommen haben, winken sie Thea zu sich.
Sie steht ihnen gegenüber, den Mathematikern Gauss, Hilbert, Banach, Abel und Galois, alle in Richterroben. Während sie nur noch ihren alten Bikini am Leib hat.
Die Herren mustern Thea mit strengem Blick, erheben sich und Gauß als Ältester spricht das Urteil: Mindestens zwei weitere Semester. Begründung: Die Smileys sind ungezogen, die Ringe hungrig, die Null hustet vor Staub, die Vektoren müssen noch gebügelt werden und die Stofffetzchen, die sie da trägt, entsprechen nicht mal in erster Näherung einer Prüfungsgarderobe.

Erschrocken richtet Thea sich beim Wachwerden auf, sieht den roten Ordner auf dem Tisch. Nur noch eine Mathematikprüfung, Algebra, der Rausschmeißer.
Sie verlässt die Couch, das Zimmer, greift im Flur nach ihrer Tasche, und geht auf kürzestem Weg ins Sportgeschäft, sich einen neuen Bikini kaufen.
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